1 Jahr Home-Office: Bilanz für Mitarbeiter …
Das neue Schlagwort heißt New Work, mit vernetzten Mitarbeitern, die als digitale Nomaden selbstverantwortlich und flexibel bezüglich Zeit und Ort arbeiten – natürlich auch im Home-Office, das mit der Pandemie zurecht an Stellenwert und Akzeptanz gewonnen hat. Mitarbeitern, die aus einer mobilen Welt kommen, die immer schon viel unterwegs waren oder beim Kunden gearbeitet haben, ist der Umstieg in eine längere Home-Office Zeit weniger schwergefallen. Auch bei Sage wurden mobile, flexible Arbeitsformen schon früher genutzt, doch nun – nach einem Jahr des Arbeitens von zu Hause – wird eine Stimmungsänderung in der Belegschaft spürbar, weil die sozialen Kontakte immer mehr fehlen.
Das zeigt ein scheinbar triviales Beispiel aus dem Arbeitsalltag: Man sitzt im Büro und schreibt an einem Konzept, da platzt ein Kollege mit einer Frage herein. Früher dachte man, solche Störungen seien ineffizient, weil jemand beim Arbeiten unterbrochen wird. Heute wissen wir, dass wir soziale Kontakte brauchen, die im Büro oft zufällig – aber sicher – entstehen. Durch miteinander reden entsteht kulturelle Zugehörigkeit, welche erst die Bindung an das Unternehmen bewirkt; aber diese kulturelle Zugehörigkeit entsteht nicht durch ein Logo und nicht durch eine Videokonferenz, sondern durch persönliche Kontakte, auch wenn eben jemand kurz mit einer Frage ins Bürozimmer reinplatzt. Bei langjährigen Mitarbeitern besteht diese Bindung zum Großteil auch jetzt noch, sie reden von guten alten Zeiten wie gemeinsamen Bürotagen oder Aktivitäten; wer aber neu während der pandemiebedingten Home-Office Zeit ins Unternehmen gekommen ist, bei dem ist die Bindung nicht da. Insofern ist zu bezweifeln, ob Mitarbeiter sich die Idee des New Work mit völliger Flexibilität wirklich wünschen.
… und Führungskräfte
Aus Sicht des Managements ist die Home-Office Situation nochmals schwieriger, denn Führung ist etwas Persönliches: einerseits geht es um das eigene Wirken, andererseits um das Erkennen, wie es einem Mitarbeiter geht. In einem Videomeeting sehe ich einen kurzfristigen Ausschnitt, aber wenn man den Knopf „Meeting verlassen“ drückt, sieht man nicht, wie es dem Mitarbeiter nach dem Gespräch geht: Wirkt er zufrieden oder verärgert, wie geht er zur Tür hinaus – das alles bekommt man nicht mit. Eine Grundaufgabe von Führungskräften ist ja auch zu erkennen, was nicht passt, bzw. was gerade gut läuft. Dabei ist es hilfreich, die Mitarbeiter im Büroalltag zu sehen, sei es bei einem Rundgang durchs Unternehmen, beim Mittagessen oder bei der Kaffeemaschine. Beim Home-Office ist das nicht möglich und für Führungskräfte entsteht hier ein Manko, denn sie leben ja davon und dafür, dass sie mit Menschen arbeiten und diese für Strategien und Ziele begeistern.
Ein Spezialfall sind noch internationale Teams, die gab es ja schon immer und in vielen Konzernen hat man selbstverständlich angenommen, dass diese Teams weltweit gut zusammenarbeiten können, ohne sich je physisch zu treffen. Aber je länger die Pandemie dauert, desto weniger denke ich, dass dort Führung funktioniert, denn auch die besten digitalen Tools können persönliche Führung nicht ersetzen. Ein Learning aus der Pandemie sollte sein, dass solche weltweiten Teams sich regelmäßig persönlich sehen sollten.
Auf dem Weg zur richtigen Balance
Wer soll mitreden, wenn es um Home-Office Vereinbarungen geht, welches Verhältnis von Anwesenheitszeiten im Büro bzw. zu Hause ist ideal, was ist sonst zu beachten und wo gibt es Stolpersteine? Gehen Sie all diese Themen rechtzeitig an, nehmen Sie sich ausreichend Zeit und machen Sie dabei allen klar, dass dies auch ein Lernprozess ist, der wohl noch öfter adaptiert wird.
Diese Beteiligten sind gefragt
Führungskräfte: Vorab muss das Management die grundlegende Strategie bestimmen, denn hier liegt ja die Verantwortung für die Firmenkultur und für den wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens. Interne Mitarbeiter-Umfragen über die Handhabung von Home-Office können dabei hilfreichen Input liefern. Man muss sich jedoch bewusst sein, dass es gerade beim Home-Office sehr individuelle Interessen gibt – und diese werden nicht immer vollständig mit einer gesamtheitlichen Vorgehensweise in Einklang gebracht werden können.
Mitarbeiter: Das Konzept für eine Home-Office Vereinbarung sollte so gestaltet werden, dass individuelle Bedürfnisse der Mitarbeiter unter Betrachtung des gemeinsamen Unternehmensziels eingebunden werden. Bei der Entscheidung, wer für Home-Office in Frage kommt, ist nicht nur die Funktion ein Kriterium, sondern auch der Mitarbeiter selbst. Achten Sie darauf, dass die Home-Office Regelung nicht wieder das Einzelkämpfertum zu stark fördert. Denn diese Form der Zusammenarbeit will kein Unternehmen heutzutage mehr haben.
HR: Hier ist intensive Unterstützung gefragt, speziell wenn es um Aspekte wie Arbeitsrecht oder sozialpartnerschaftliche Belange geht.
IT: Viele Unternehmen sind derzeit mit Tools überladen, weil viel ausprobiert wurde. Nun braucht es eine sinnvolle Auswahl an hybriden Werkzeugen, die sowohl im Home-Office funktionieren, als auch im Office. Hier sollte speziell auf integrierte Lösungen geachtet werden um zu vermeiden, dass Mitarbeiter in einer Flut an Anwendungen untergehen.
Zeit-Balance heißt auch verpflichtende gemeinsame Zeit
Der Bürobetrieb eignet sich für hybride Arbeitsformen, die Balance kann nur jedes Unternehmen individuell für sich finden. Erfahrungsgemäß ist ein Verhältnis von 50:50 geeignet, wobei auch eine Aufteilung von 3 Tagen Büro und 2 Tagen Home-Office gut funktionieren kann.
Wie auch immer der Aufteilungsschlüssel lautet, achten Sie auf diesen kritischen Erfolgsfaktor: Für alle im Team muss es gemeinsame Zeiten im Büro geben, die auch verpflichtend sind. Nur so wird ein Minimum an Informationsaustausch gewährleistet. Das sollten Sie den Mitarbeitern auch klar kommunizieren, denn gerade in einer freien, selbstbestimmten Arbeitskultur, wo kaum kontrolliert wird, braucht es klare Regeln. Der Wunsch nach freier Zeiteinteilung (Stichwort New Work) ist sicher da und so braucht es zu Beginn gute Argumente für eine verpflichtende gemeinsame Anwesenheitszeit. Die Pflege der Unternehmenskultur betrifft jedoch die neuen, genauso wie die langjährigen Mitarbeiter. Hier geht es um das Unternehmen als sozio-ökonomisches System, um die Kultur die zwischen Mitarbeitern entsteht, indem sie miteinander agieren, miteinander reden – diesen menschlichen Prozess kann man nicht durch technologische Tools ersetzen.
Diese Prozesse brauchen Ihre besondere Aufmerksamkeit
Einbinden von neuen Mitarbeitern: Dieser Prozess ist bei Home-Office und hybriden Arbeitsmodellen die größte Herausforderung. Normalerweise passiert das Einbinden automatisch, weil Kollegen im Büro den neuen Mitarbeiter am Gang oder in der Kaffeeküche oder beim Mittagessen treffen und soziale Kontakte sich von selbst bilden. In der neuen Arbeitswelt braucht es jetzt gute Konzepte, wo Geld und Zeit investiert werden muss. Denn niemand kann über ein Videokonferenztool Freundschaften schließen. Für neue Mitarbeiter entsteht über den Bildschirm keine Bindung an das Unternehmen, das zeigen vielfach auch höhere Kündigungsraten bei neuen Mitarbeitern.
Ausbildung: Auch wenn es praktisch erscheint, dass immer mehr online gelernt wird, so muss auch in der Ausbildung auf hybride Formen geachtet werden. Trainings, wo es um Soziales und Kultur geht, wie etwa Teambuilding, funktionieren nicht im virtuellen Raum, sondern nur als Präsenzveranstaltung.
Kreative Prozesse: Die Erfahrung bei Sage, zum Beispiel in der Produktentwicklung, zeigt, dass Kreativität nur im persönlichen Austausch entsteht. Bei Videokonferenzen zündet seltener der kreative Funke; wenn dann noch die Kameras abgeschaltet sind, wird es völlig unmöglich, innovative Momente gemeinsam zu schaffen. Für den Prozess der Lösungsfindung im Team sollten Sie daher einen realen Raum vorsehen. Der nächste Schritt, nämlich eine Lösung zu beschließen und diese dann umzusetzen, ist auch online möglich.
Denken Sie auch an Budget und Vorlaufzeit
Last but not least müssen die finanziellen Rahmenbedingungen für hybride Arbeitsformen geschaffen werden. Als Unternehmen betreiben Sie dann ja zwei Arbeitsplätze und das kostet schlicht und einfach Geld. Das geht von der zusätzlichen Ausstattung im Home-Office bis zum Umbau der Büroflächen als Shared Office.
Die richtige Balance zwischen Büroarbeit und Home-Office zu finden, verbunden mit den erforderlichen Infrastruktur-Maßnahmen, braucht Zeit. Zu denken, es ist mit einer Betriebsvereinbarung getan, ist zu wenig. Und auch wenn manche gern schon jetzt einen fixen Plan hätten, wird jedes Unternehmen in der ersten Zeit immer wieder erproben müssen was funktioniert und wo nötigenfalls Anpassungen vorgenommen werden müssen. Hybride, ausbalancierte Arbeitsformen haben Zukunft, aber machen Sie sich rechtzeitig auf den Weg.